Bernard Lown — „Die verlorene Kunst des Heilens. Anleitung zum Umdenken“

von Dr. Bernard Lown M.D. Professor of Cardiology (mehr zum Autor hier auf Wikipedia )

(Deutsche Ausgabe 2004; Suhrkamp-Verlag)

„Die verlorene Kunst des Heilens“ – Welch ein Titel und welch ein Thema! Und ein Thema, das so gut wie jeden betrifft und bei dem jeder mitreden kann – oder zumindest meint, mitreden zu können.

Der Autor Bernard Lown (geb. 1921) ist ein US-amerikanischer Kardiologe, der u. a. den Defibrillator erfunden hat. Bekannt ist Lown v. a. auch durch den an ihn verliehenen Friedensnobelpreis, den er 1985 zusammen mit dem russischen Arzt Chazov für die 1980 gegründete Organisation „International Physicians for the Prevention of Nuclear War“ erhalten hat.

Zum Inhalt des Buches: Die Medizin war noch nie so erfolgreich wie in der heutigen Zeit, zu keiner Zeit erreichten die Menschen außerdem so biblisch hohe Lebensjahre wie heutzutage – auch wenn es großteils die Errungenschaften der modernen Medizin sind, wie die Entwicklung von Antibiotika oder Antidiabetika sowie moderne Narkose- und Operationsverfahren, durch welche so viele Leben gerettet werden können wie nie zuvor.

Dennoch – so schreibt Lown – ist in den USA die öffentliche Unzufriedenheit mit den Ärzten in gleicher Weise so groß wie nie zuvor – ja den Ärzten schlagen gar Misstrauen, Argwohn und sogar Feindseligkeit entgegen. Derartige Verhältnisse kann man wohl unbestritten auch auf Deutschland übertragen.

Aber woher rührt diese tiefe Unzufriedenheit, ja sogar der Hass, gegenüber den „Halbgöttern in Weiß“? Dr. Lown begründet diese mit dem verlorenen Vertrauen der Menschen in die Ärzte – die nicht nur aus der verlorenen Kunst des Heilens resultieren, sondern auch aus der verlorenen Kunst des Zuhörens, des Beobachtens des Menschen, der verlorenen Empathie für den Menschen, der verlorenen Intuition und des verlorenen Gespürs des Arztes für die Menschen. Dies alles kann man – möglicherweise – auch unter dem fehlenden Interesse des Arztes, des fehlenden Mitfühlens mit dessen Schicksal und der Bereitschaft, diesem wirklich helfen zu wollen – subsummieren.

Der Mensch wird derweil zum Patienten degradiert – die Bezeichnung Patient leitet sich bekanntlich vom lateinischen Wort „pati“ ab, welches erleiden, erdulden bedeutet – der Mensch gerät also in einen passiven, erduldenden Zustand oder er wird vom Arzt in diesen versetzt. Lown schreibt gar, dass der Mensch seiner Persönlichkeit beraubt werde und zum Objekt herabgesetzt werde. Der kranke Mensch akzeptiere diese Haltung des Arztes indes aber nicht, er wolle in seiner Gesamtheit gesehen und respektiert werden und nicht auf seine „kranken Körperteile“ reduziert werden. Vielmehr strebe er nach einem vertrauens- und hoffnungsvollen Verhältnis zum Arzt, gleichsam nach einem Bündnis unter gleichwertigen Partnern. Der Mensch will nicht nur seinen Körper – so schreibt Lown – behandelt und verstanden wissen – sondern auch seine gepeinigte Seele. Er will geheilt werden, nicht repariert werden – wie ein Auto, das keine Seele besitzt.

Überhaupt ist es als großes Verdienst des Autors zu sehen, dass er zu jeder Zeit den Zusammenhang zwischen Psyche und Körper – der Kardiologe spricht hier speziell vom Zusammenhang zwischen Psyche und Herz-Kreislauf-Erkrankungen – erkennt und diesen Aspekt auch stets bei seinen Behandlungen berücksichtigt und in die Therapie mit einbezieht.

Als Ursache der „verlorenen Kunst des Heilens“ sieht Lown dagegen die zunehmende Ökonomisierung des Gesundheitswesens – kostspielige Apparatemedizin und umfangreiche Diagnostik lösten das vertrauensvolle Gespräch sowie die gründliche Untersuchung ab.

Aber gibt es einen Ausweg aus diesem Dilemma? Wohl kaum. So zeigt denn auch Lown kaum Lösungsansätze auf – vielmehr findet sich in dem Buch eine Aneinanderreihung von spektakulären Fällen aus Lowns Patientendatei – wobei er sich von einer Erfolgsgeschichte zur nächsten hangelt. Die Erfolgsgeschichten sind teils unterhaltsam, spannend, schockierend – teils aber auch langatmig und ausschweifend.

Und auch im deutschen Gesundheitswesen – um nun den Bogen nach Deutschland zu schlagen – sieht die Lage nicht viel besser aus: Denn solange hierzulande Krankenkassen in zunehmenden Maße die Leistungsträger des Gesundheitswesens – Ärzte, Apotheker usw. – knechten und diesen Daumenschrauben anlegen, solange wird die Kunst des Heilens verloren bleiben. Und solange sich die Krankenkassen weiter eher dafür verantwortlich fühlen, ausrangierte Politiker mit hochdotierten Vorstandsposten zu versehen – anstelle sich um das Wohl der Versicherten kümmern – solange wird der Mensch um eine angemessene und v. a. menschliche Versorgung betrogen werden.

Fazit: Dr. Lown geht mit der eigenen Zunft hart ins Gericht und spart nicht mit Kritik an der Ärzteschaft. Er propagiert eine Medizin mit menschlichem Gesicht. Ein mutiges Buch und eine Plädoyer für eine ganzheitliche Medizin, die in den Händen von wohlgesonnenen Ärzten liegen sollte. Ein Buch, das auch von Zivilcourage zeugt und sich nicht scheut, die bestehenden Verhältnisse anzukreiden.

 

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