Das entzauberte (Sach-)buch – Die Fake-„Experten“ von Amazon
Mit Wissen oder Kompetenz hat das, was sich auf dem Buchmarkt von Amazon – und in immer größerem Ausmaß auch bei großen Buchhändlern wie Thalia, Hugendubel usw. – abspielt, schon lange nichts mehr zu tun.
Nichtsdestotrotz gelten Bücher hierzulande als Kulturgut, was bspw. durch die Buchpreisbindung und den ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf Bücher zum Ausdruck kommt.
Bücher gelten gemeinhin als Signum für Bildung, Wissen, Kompetenz, ja auch für geistige und innere Ordnung. Bücher sollen dazu beitragen, eine humanistische Lebensauffassung zu transportieren und den Leser/ die Leserin zu kritischen und mündigen Bürgern zu emanzipieren.
Weiter können und sollen (Sach-)Bücher Rat und Hilfe vermitteln, bei Krankheiten, in Lebenskrisen, wobei ein seriöses Buch stets nicht nur die Möglichkeiten, sondern auch die Grenzen (von bestimmten Behandlungen), aufzeigt.
Von diesen Idealen eines Buches ist der Buchmarkt mittlerweile jedoch meilenweit entfernt. Anstatt Leserinnen und Leser zu informieren, ihnen Wissen zu vermitteln, ihnen eine helfende Hand zu reichen, ihnen Mut zu machen, ob bei physischen oder psychischen Problemen, wird der Leser schamlos betrogen, belogen, manipuliert und mit falschem, d. h. mitunter auch gefährlichen, „Wissen“ überschüttet.
Diese Art der Fake „Bücher“ – auch als Schrottbücher bezeichnet – werden von Billigtextern – die genauso wenig wie der „Publisher“ (also der Herausgeber des „Buchs“) Ahnung von der jeweiligen Materie haben – für kleines Geld geschrieben oder aber von künstlicher Intelligenz generiert. Versehen wird das „Buch“ mit einem Cover, das Interesse beim Leser/ der Leserin weckt.
Dazu kommt der gefälschte „Lebenslauf“, die vita, des „Autors“, wo mitunter ganz dick aufgetragen wird und jedwede Hemmungen fallen gelassen werden:
Als Beispiel möge das „Tarot“-„Buch“ der fiktiven „Autorin“ Sophia Roth dienen. Sie hat das Buch „Tarot für absolute Einsteiger: Alles, was du über Karten, Legemethoden & Interpretationen wissen musst“ geschrieben.
Link zu Amazon (Bild und Textquellen Amazon.de)

Über die – fingierte – Vita der „Autorin“ ist zu lesen:
„Sophia Roth ist eine spirituelle Beraterin und Autorin. Ihre Bücher zeichnen sich durch eine leichte Verständlichkeit aus, was sie ideal für Einsteiger in spirituelle Themen macht. Mit einem Hintergrund in Philosophie und Religionswissenschaft verbindet Sophia historische Weisheiten mit modernen Interpretationen, um ihre Leser auf eine erkenntnisreiche Reise durch die Welt des Mystischen und Übersinnlichen zu führen. Ihre empathische Art und klare Sprache haben ihr eine treue Leserschaft und Anerkennung in der spirituellen Gemeinschaft eingebracht. Neben dem Schreiben gibt Sophia Workshops und Vorträge, um ihr Wissen zu teilen und eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten zu fördern. Sie lebt und arbeitet in einer inspirierenden Künstlergemeinschaft. Wenn sie nicht gerade schreibt oder Lesungen anbietet, verbringt sie ihre Zeit gerne in der Natur, meditiert, oder erkundet ferne Länder und Kulturen.“
Der Leser wird hier auf teuflische Art manipuliert, getäuscht, instrumentalisiert. Denn die fingierte Vita soll Expertise, Wissen und Erfahrung vortäuschen – Wissen und Erfahrung, welche mitnichten vorhanden sind.
Solche Fake-„Experten“ sind u. a. daran zu erkennen, dass im Internet rein gar nichts über sie zu finden ist, es gibt (bis auf einige Ausnahmen) keine Homepage. Wer Lesungen, Vorträge, Workshops anbietet, – wie hier behauptet – würde diese freilich im Internet auf einer entsprechenden Homepage offerieren.
Ein – gesetzlich vorgeschriebenes – Impressum ist in diesem „Tarot“-Buch sowie in einem großen Teil der anderen Fake-Bücher nicht vorhanden. Insofern wird verschleiert, wer sich hinter diesem diabolischen Machwerk verbirgt. Der Publisher hofft auf diese Weise möglicherweise auch, eine Abmahnung bspw. wegen unlauteren Wettbewerbs, zu umgehen.Im Klappentext – also dem Vorstellungstext bei Amazon – heißt es weiter:
„Mit Tarot deine Selbsterkenntnis fördern und ein authentisches Leben führen:
Wie integrierst du dein Bauchgefühl in deinen Alltag?
Gehörst du auch zu den Menschen, die sich nicht darüber im Klaren sind, was sie wirklich möchten? Dann kennst du bestimmt diese Empfindungen:
- Du spürst, dass etwas in deinem Leben nicht stimmt, kannst aber nicht benennen, was?
- Stattdessen merkst du, dass du immer den Ideen anderer folgst, entweder über Social Media, deinen Eltern oder anderen vermeintlichen „Vorbildern“? Deine eigene Richtung aber fehlt?
- Du wünschst dir mehr Spiritualität im Leben und eine grundfeste Orientierung?
- Du bist oft unzufrieden mit bestimmten Situationen, weißt aber nicht, was bessere Alternative wären?
Wenn du diese Probleme langfristig nicht angehst, kann das nicht nur zu einer allgemeinen Frustration über dein Leben führen. Läuft es im Alltag langfristig ständig unrund, sind im schlimmsten Fall Depressionen oder Burnout die Folge.
Wenn du dich dafür interessiert, bessere Entscheidungen zu treffen, wirst du viele Ratgeber finden. Diese geben oft konkrete Anleitungen, die auf rationalen Prinzipien beruhen. Sie klingen kompliziert, wägen letztlich aber nur Vorteile und Nachteile ab.
Tarot bietet hier einen anderen Zugang, da es deine emotionale Klugheit anspricht und am Prinzip der individuellen Intuition ansetzt. Damit bietet es ein Werkzeug, um authentische Entscheidungen zu treffen und überhaupt, dich selbst besser zu verstehen.
Sophia Roth, die Autorin dieses Buches, hat sich selbst lange verloren im Leben gefühlt und wusste vor wichtigen Entscheidungen nicht, was zu tun ist. Daran ist sie fast verzweifelt. Die eher zufällige Beschäftigung mit Tarot hat ihr dann gezeigt, dass es statt rationalistischer Entscheidungsmodelle ein Werkzeug gibt, das wirklich die eigenen Bedürfnisse und Wünsche sowie individuelle Voraussetzungen berücksichtigt.”
Fast immer wird im Klappentext von Fake-Autoren – auch in diesem – nach dem gleichen Schema vorgegangen: Der Autor/ die Autorin hat keinen leichten Start ins Leben, auch das weitere Leben erweist sich oft als mühevoll und strapaziös, der Autor/ die Autorin wird von Schicksalsschlägen getroffen, oft ist gar von gestorbenen Kindern oder tödlich verunglückten Partnern die Rede.
Auch „Sophia Roth“ quälten Selbstzweifel, sie fühlte sich verloren – bis sie Tarot für sich entdeckt hat und sich alsdann wie Phönix aus der Asche erhob. Die Karten haben sie auf den rechten und den guten Weg geführt, ihre Beharrlichkeit wurde von Erfolg gekrönt, sie schreibt Bücher und gibt Workshops – ansonsten bereist sie die Welt und erkundet ferner Länder und Nationen.
Mit dem „Buch“ – und das wird bereits im Klappentext deutlich – sollen unsichere und psychische instabile Menschen angesprochen werden, und dieses (vermeintlich unkritische) Leserspektrum soll „abgegriffen werden“.
In diesem Zusammenhang werden gar noch Drohungen und Warnungen ausgesprochen:
„Bist Du oft unzufrieden mit bestimmten Situationen, weißt aber nicht, was bessere Alternative wären?
Wenn du diese Probleme langfristig nicht angehst, kann das nicht nur zu einer allgemeinen Frustration über dein Leben führen. Läuft es im Alltag langfristig ständig unrund, sind im schlimmsten Fall Depressionen oder Burnout die Folge.“
Über den Gehalt dieser Aussage, die den Leser/ die Leserin zum Kauf des Buchs animieren, ja schon zwingen soll, um nicht der Depression anheimzufallen, braucht natürlich nicht diskutiert zu werden. Depressionen sind vielschichtig, und haben freilich viele Ursachen. Würde ein „unrunder Alltag“ zu Depressionen führen, hätten sicherlich 90 % aller Menschen Depressionen. Denn selbst ein gutes oder ein sehr gutes Leben birgt Probleme, die umschifft und gelöst werden müssen.
Gleichzeitig werden andere Ratgeber abgewertet und Tarot als vermeintliche Lösung aller Probleme gelobt „Wenn du dich dafür interessiert, bessere Entscheidungen zu treffen, wirst du viele Ratgeber finden. Diese geben oft konkrete Anleitungen, die auf rationalen Prinzipien beruhen. Sie klingen kompliziert, wägen letztlich aber nur Vorteile und Nachteile ab.“
Jeder Mensch ist freilich anders, eine Persönlichkeit hat viele Facetten, und so kann es auch nie nur die EINE Lösung geben. Der Anspruch, das einzige Heil für die Bedürfnisse der Leser und Leserinnen bieten zu können, ist lediglich ein weiteres Signum der Fake-Ratgeber.
„Mit Tarot deine Selbsterkenntnis fördern und ein authentisches Leben führen“. – Mit diesem Satz bringt es die „Autorin“ auf den Punkt. Wo könnten weniger Selbsterkenntnis und Authentizität vorhanden sein, als bei einer Person, die keinerlei Ahnung von der Materie (hier: Tarot) hat, die aber versucht, dies mittels einer gefälschten Vita zu vertuschen? Adressat des „Buchs“ ist der „absolute Anfänger“ und der „Mensch, der seine Richtung nicht kennt“ – hier wird gehofft, dass das fulminante Nicht-Wissen nicht auffällt und die beeindruckende „Vita“ genügt, um dem Unfug des Buchs Glauben zu schenken. Wer nicht weiß, wovon er schreibt, und nicht mal das Kleine 1 x 1 des Tarots kennt, aber Bücher darüber schreibt (schreiben lässt), ist nicht authentisch, sondern nichts anderes als ein Betrüger, der hofft, dass sein schandhaftes Treiben unerkannt bleibt. Der thematisch interessierte Mensch ist nicht von Interesse für die Fake-Autoren, er wird in die Irre und an der Nase herum geführt. Oberflächliche Aspekte werden zu einem Thema zusammengetragen, an eigenem Wissen und Erfahrung fehlt es völlig. Der Gedanke drängt sich auf, dass es sich um bunt zusammengewürfelte Aussagen handelt, die schlicht wie unverstandene und umformulierte Inhalte aus anderen Quellen wirken.
Authentizität fehlt auch, wenn ein „Buch“ lieblos verfasst wird, es an Sorgfalt und Wissen mangelt, der eigene Anspruch an Qualität fehlt. Es geht lediglich darum, zu irgendeinem gerade angesagten oder Erfolg versprechenden Thema ein Buch auf den Markt zu werfen, um daran zu verdienen. Das, was man gemeinhin als Moral definiert, existiert nicht.
Selbst ernannte Tarot-Expertinnen sind nicht nur weit von Authentizität, Selbsterkenntnis und Spiritualität entfernt, sondern bewegen sich exakt in die entgegengesetzte Richtung. Das verhält sich etwa so, wie wenn Kinder im Sandkasten Tätigkeiten eines Bauunternehmens nachahmen – echte bewohnbare Häuser bauen sie nicht. Kinder im Sandkasten haben dem gegenüber den Vorteil, dass sie wissen, dass sie im Sandkasten spielen.
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